
Der European Social Survey (ESS) ist eine grossangelegte wissenschaftliche Studie, die seit 2002 alle zwei Jahre in rund 30 europäischen Ländern durchgeführt wird. Die Studie zeichnet sich durch einen hohen inhaltlichen und methodologischen Standard aus und wurde im Jahr 2005 mit dem renommierten “Prix Descartes“ für herausragende Leistungen im Bereich der Wissenschaft ausgezeichnet.
Die Erhebung setzt sich aus verschiedenen Fragemodulen zusammen, welche Werte, Einstellungen und das soziale Verhalten der Bevölkerung in Europa messen. Der Fragebogen besteht aus einem fixen Kern aus sozio-politischen und sozio-ökonomischen Fragen und einem variablen Teil mit periodisch wiederkehrenden Schwerpunktthemen. Zudem werden experimentelle Testfragen und Fragen zum individuellen Wertesystem erhoben.
Die Schweiz hat bisher an allen Runden des ESS teilgenommen. Die Stichprobe besteht aus mindestens 1500 Personen ab 15 Jahren und ist repräsentativ für die in der Schweiz lebende Bevölkerung.
Der ESS hat zum Ziel:
- Eine breite Basis an qualitativ hochstehenden Daten zu schaffen, welche die Entstehung und Veränderung von Werten, Haltungen und Meinungen der Bürger in Europa dokumentieren.
- Stabilität und Wandel der gesellschaftlichen Struktur und der Lebensumstände aufzuzeigen und die politische, soziale und moralische Entwicklung in Europa zu erklären.
- Höhere Standards in der international vergleichenden Sozialforschung zu etablieren und weiterzuvermitteln, z.B. in der Fragebogenkonstruktion, den Pretests, der Stichprobenziehung und der Datenerhebung.
- Statistische Daten zum sozialen Wandel in den europäischen Gesellschaften besser sichtbar und zugänglich zu machen, dies sowohl für Vertreter aus Wissenschaft und Politik, wie auch für die Medien und Öffentlichkeit ganz allgemein.
Der ESS wurde von der Europäischen Wissenschaftsstiftung ins Leben gerufen und wird vom Centre for Comparative Social Surveys der City University in London koordiniert. Ende 2013 wurde der ESS offiziell zum European Research Infrastructure Consortium (ERIC) ernannt und somit als führende europäische Forschungsinfrastruktur anerkannt. Ein solches Konsortium eröffnet den am Projekt beteiligten Ländern und Wissenschaftlern einzigartige Forschungsbedingungen und begünstigt in hohem Masse die Weiterentwicklung von Wissen und Technologie.
Organisatorisch besteht der ESS aus einem zentralen Koordinations-Team (Core Scientific Team, CST), einer Methodengruppe und einem wissenschaftlichen Beirat. Die Schweiz wird in der Generalversammlung (General Assembly) durch Georg Lutz und im wissenschaftlichen Beirat (Scientific Advisory Board) durch Christian Staerklé vertreten.
Das zentrale Koordinations-Team ist für die Ausarbeitung der wissenschaftlichen Richtlinien verantwortlich. Es definiert die inhaltliche Ausgestaltung des englischen Fragebogens, die Wahl der Methoden und die Archivierung der Daten. Das Team wird seit Januar 2012 von Rory Fitzgerald geleitet. Es wird ergänzt durch Spezialistinnen und Spezialisten aus verschiedenen Partnerinstitutionen:
– Norwegian Social Science Data Services (NSD), Norwegen
– Leibniz Institute for the Social Sciences (GESIS), Deutschland
– The Netherlands Institute for Social Research (SCP), Niederlande
– Universitat Pompeu Fabra, Spanien
– University of Leuven, Belgien
– University of Ljubljana, Slowenien
– University of Essex, England
Jedes teilnehmende Land führt die Erhebung gemäss den durch das zentrale Koordinations-Team etablierten methodischen Standards innerhalb seines Territoriums durch. In der Schweiz ist FORS für die Durchführung der Erhebung verantwortlich. Unter der wissenschaftlichen Leitung von Michèle Ernst Staehli plant und realisiert das ESS-Team von FORS sämtliche Phasen des Erhebungsprozesses: Es übersetzt den englischen Originalfragebogen in drei nationale Sprachen (deutsch, französisch und italienisch), entwickelt die spezifischen Erhebungsmethoden und bereitet die Rohdaten so auf, dass sie von Forschenden und anderen Interessierten genutzt werden können. Die Feldarbeit wird durch ein beauftragtes Meinungsforschungsinstitut durchgeführt.
Finanzierung
Die internationale Planung des Projekts, die Entwicklung des Fragebogens und die Archivierung der Daten wird von den Mitgliedsländern des ERIC getragen. Die Durchführung der Erhebung in der Schweiz hingegen wird seit Beginn der Studie im Jahre 2002 vom Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung (SNF) finanziert.
Die ESS-Erhebung zeichnet sich durch eine rigoros wissenschaftliche Vorgehensweise und hohe methodologische Ansprüche aus. Drei Aspekte stehen dabei im Vordergrund:
Der Erstellungsablauf des Fragebogens muss vollständig kontrolliert sein, damit die Resultate verschiedener Länder verglichen werden können. Die Fragen werden in mehreren Ländern getestet. Viel Wert wird auf die Qualität der Übersetzungen gelegt. Der ESS verfügt über Übersetzungsspezialisten, welche die Richtlinien bestimmen. Das Übersetzungsprotokoll wird TRAPD (Translation, Review, Adjudication, Pre-testing and Documentation) genannt.
Die Qualität von Umfragen hängt sehr stark von der gezogenen Stichprobe ab. Das zentrale Koordinations-Team des ESS wird aus diesem Grund durch Spezialistinnen und Spezialisten im Bereich der Stichprobenziehung ergänzt, welche die nationale Stichprobenziehung betreuen und kontrollieren. Damit die Stichprobe möglichst repräsentativ ausfällt, fordert der ESS eine strikte Zufallsstrichprobenziehung. In der Schweiz ist der ESS als Studie von nationaler Bedeutung anerkannt und die Stichproben dürfen seit dem Jahr 2010 aus dem Stichprobenrahmen für Personen- und Haushaltserhebungen (SRPH) des Bundesamtes für Statistik gezogen werden. Die Verordnung über die Durchführung von statistischen Erhebungen des Bundes (vom 30. Juni 1993, Art. 13c, Abs.2, Bst. d. ) regelt, wie die Angaben dieses Registers vom ESS genutzt werden dürfen.
Regionale oder internationale Ereignisse können die Einstellungen und das Verhalten der Befragten stark beeinflussen. Ein Terrorakt oder eine Wirtschaftskrise wirken sich demzufolge auf die Antworten aus. Aus diesem Grund dokumentiert jedes Land stark mediatisierte Ereignisse (ESS media claims) während des Ablaufs der Erhebung. So stehen den Forschenden, die in Zukunft mit den Daten arbeiten werden, genaue Angaben zum nationalen Kontext zur Verfügung.
Um eine möglichst hohe Rücklaufquote zu erzielen, wird das methodische Vorgehen zudem laufend verbessert. Dazu zählen beispielsweise intensive Interviewer Schulungen. Seit der dritten ESS-Runde werden in der Schweiz Rücklaufquoten von mindestens 50% erreicht, was für Schweizer Verhältnisse ein ausgezeichnetes Resultat darstellt. Das Interview wird face-to-face durchgeführt und dauert etwa eine Stunde. Die Anzahl der von den Interviewerinnen und Interviewern durchgeführten Interviews wird ebenfalls begrenzt, um die Qualität der erhobenen Daten zu garantieren.
Synoptisches Resumé über die Methodologie des European Social Survey
- Grundgesamtheit: In der Schweiz lebende Personen mit einem Mindestalter von 15 Jahren (keine obere Altersgrenze)
- Befragte Personen: Zufallsstichprobe, mindestens 1500 befragte Personen
- Erhebungsmodus: Interviews face-to-face, CAPI, durch beauftragtes Umfrageinstitut
Stichprobenziehung:
2002-2004: Stichprobenbildung auf drei Ebenen:
- Stichprobe von Postnummern, verteilt auf die Grossregionen der Schweiz
- Stichprobe einer bestimmten Anzahl Haushalte zu jeder ausgewählten Postnummer
- Zufällige Bestimmung einer Person in jedem Haushalt
2006-2008: Stichprobenbildung auf zwei Ebenen:
- Stichprobe einer bestimmten Anzahl Haushalte in allen Grossregionen der Schweiz (nationale Telefon- und Adressdatenbank)
- Zufällige Bestimmung einer Person in jedem Haushalt oder jeder Adresse
Seit 2010: Stichprobenbildung auf einer Ebene:
- Der ESS wird als Erhebung von nationaler Bedeutung anerkannt und vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert. Die Stichprobe der Zielpersonen darf aus diesem Grund aus dem Stichprobenregister des Bundesamtes für Statistik gezogen werden (gemäss Verordnung über die Durchführung von statistischen Erhebungen des Bundes vom 30. Juni 1993, Art. 13c, Abs.2, Bst. d.).
Der Fragebogen ist in zwei Hauptteile aufgegliedert: Er besteht aus einem zentralen Kern, der von Erhebung zu Erhebung unverändert bleibt und einem zweiten variablen Teil, der zwei oder mehrere Module zu bestimmten Themen beinhaltet, welche periodisch wieder aufgegriffen werden.
Das Kernmodul hat zum Ziel, die Evolution einer breiten Palette von sozialen Indikatoren aufzuzeigen. Diese Indikatoren beziehen sich hauptsächlich auf die Nutzung der Medien, das Mass an Vertrauen gegenüber dem sozialen Umfeld, die Beziehung zur Politik (Partizipation, Einschätzung der Institutionen), das subjektive Wohlergehen, das Empfinden gegenüber Diskriminierung, die Einstellung gegenüber Ausschluss sowie die nationale, ethnische und religiöse Identität. Ebenso inbegriffen ist ein Teil zum sozio-demographischen Profil der Befragten. Die Fragen des Kernmoduls erlauben es, die Entwicklung wichtiger Themen über die Zeit zu verfolgen.
Die Wechselmodule des ESS variieren von Ausgabe zu Ausgabe. Forscherteams schlagen Module zu spezifischen Schwerpunktthemen vor. Manchmal ist das Thema neu (z.B. Gerechtigkeit und Fairness), manchmal bestand es bereits in einer früheren Ausgabe (Das Thema Lebensetappen wurde zum Beispiel schon im Jahr 2006 untersucht). Diese variablen Module erlauben es, bestimmte Themen zu vertiefen oder zu erweitern.
In den Zusatzmodulen werden experimentelle Testfragen und Fragen zum individuellen Wertesystem erhoben.
Erhebungswellen
ESS 2016 (Round 8)
ESS 2014 (Round 7)
EEE_2014_Questionnaire_English_French_German_Italian
ESS 2012 (Round 6)
ESS_2012_Questionnaire_English_French_German_Italian
ESS 2010 (Round 5)
Der ESS führt eine Liste der Studien, die mit Daten aus dem ESS erstellt wurden.
Nach jeder Durchführung des ESS erstellt FORS eine Broschüre mit einer Auswahl an interessanten Ergebnissen zur Schweiz. Diese wird den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie nach Wunsch verteilt. Die Broschüren der letzten Erhebungswellen können unter folgenden Links heruntergeladen werden:
- Broschüre Schweiz ESS Runde 8 (2016)
- Broschüre Schweiz ESS Runde 7 (2014)
- Broschüre Schweiz ESS Runde 6 (2012)
- Broschüre Schweiz ESS Runde 5 (2010)
- Broschüre Schweiz ESS Runde 4 (2008)
Zudem publiziert der ESS die europäischen Resultate in thematischen Broschüren:
ESS 2014: Hauptresultate zu sozialen Ungleichheiten in Bezug auf die Gesundheit sowie zu Einstellungen gegenüber Immigration
Einstellungen gegenüber Immigration und ihre Ursprünge (auch erhältlich auf Englisch)
ESS 2012: Hauptresultate zu persönlichem und sozialem Wohlbefinden
Europeans’ Personal and Social Wellbeing (auch erhältlich auf Französisch)