Eidgenössische Wahlen 2023
Wahlteilnahme und Wahlentscheid
2024
Tresch, Anke, Rennwald, Line, Lauener, Lukas, Lutz, Georg, Alkoç, Nursel, Benvenuti, Romane und Oscar Mazzoleni (2024). Eidgenössische Wahlen 2023. Wahlteilnahme und Wahlentscheid. FORS-Lausanne. DOI: 10.24447/SLC-2024-00001.
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Das Wichtigste in Kürze: SVP profitierte von der Sorge um die starke Zuwanderung, SP gewann dank ehemaligen Grünen-Wählenden
Der SVP gelang es dank der verbreiteten Sorgen um Zuwanderung und Asyl, ihre Stammwählerschaft von 2019 ausgezeichnet zu mobilisieren und frühere FDP-Wählende von sich zu überzeugen. Die SP profitierte davon, dass mehr als ein Viertel der Wählerschaft der Grünen von 2019 zur SP wechselten. Die SP konnte ihren Wähleranteil insbesondere bei den unter 25-Jährigen auf Kosten der Grünen und Grünliberalen ausbauen. Das Wählerpotenzial der FDP ging weiter zurück, während die neu gegründete Mitte-Partei nicht nur von der Unterstützung früherer CVP- und BDP-Wählender profitierte, sondern auch von Wechselwählenden von links und rechts. Dies zeigt die neuste Studie aus der Schweizer Wahlstudie Selects, die vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert und von FORS in Lausanne durchgeführt wird.
Die SVP und SP gingen nach ihren Verlusten von 2019 als Siegerinnen aus den eidgenössischen Wahlen 2023 hervor, während die ökologischen Parteien ihren Wahlerfolg von 2019 nicht zu bestätigen vermochten und Wähleranteile einbüssten. Die neuste Ausgabe der Schweizer Wahlstudie Selects, die seit 1995 das Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger bei eidgenössischen Wahlen erforscht, zeigt: Dem rechten Lager gelang es bei den Wahlen 2023 besser als vor vier Jahren, seine Basis zur Wahlteilnahme zu bewegen. Die Wahlbeteiligung von Personen, die sich politisch im rechten Spektrum positionieren, lag bei 55 Prozent, gegenüber 49 Prozent vor vier Jahren. Insbesondere die SVP konnte ihre Stammwählerschaft erfolgreich mobilisieren. Knapp 90 Prozent jener, die 2019 der SVP ihre Stimme gaben und sich 2023 an den Wahlen beteiligten, wählten wiederum SVP. Darüber hinaus überzeugte die SVP auch Teile der FDP- und CVP/BDP-Wählenden von 2019: 14 Prozent der FDP-Wählenden und 7 Prozent der CVP/BDP-Wählenden von 2019, die 2023 an den Wahlen teilnahmen, wählten diesmal SVP. Dabei profitierte die SVP davon, dass sich ihre Kernthemen Zuwanderung und Asyl im Verlauf des Wahlkampfs als wichtigstes Problem für die Wählerschaft etablierten, zuungunsten von Umwelt- und Energiefragen.
Verschiebungen im linken Lager
Die ökologischen Parteien bekundeten grosse Mühe, ihre Wählerinnen und Wähler von 2019 bei der Stange zu halten. Die Grünen konnten lediglich 54 Prozent ihrer Wählerschaft von 2019 halten, die GLP 61 Prozent. Die Grünen verloren gut einen Viertel ihrer Wählenden von 2019 an die SP, während sich bei der GLP die Abgänge nach links (zu SP und Grünen) und nach rechts (zu Mitte und FDP) in etwa die Waage hielten. Insbesondere die GLP litt unter der rückläufigen Wahlbeteiligung der jungen Wählerschaft. Sie büsste bei den 18- bis 24-Jährigen im Vergleich zu 2019 am meisten Wähleranteile ein (-5 Prozentpunkte). Die SP erfuhr in dieser Altersklasse ihren grössten Zuwachs und stieg zusammen mit der SVP bei den jüngsten Wählenden zur wählerstärksten Partei auf. Der SP gelang es im Vergleich zu 2019 besser, sich bei umweltaffinen Wählerschichten als Alternative zu den Grünen zu etablieren. Unter Personen, die Umwelt- und Energiefragen als wichtigstes politisches Problem erachten, zog die SP mit einem Wähleranteil von knapp einem Viertel mit den Grünen gleich. Ausserdem kam der SP bei der Mobilisierung ihrer Basis zugute, dass mit der schwindenden Kaufkraft und den steigenden Krankenkassenprämien zentrale Themen ihrer Kampagne während des Wahlkampfs an Bedeutung gewannen.
Mitte-Rechts im Wandel
Die FDP vermochte ihren anhaltenden Abwärtstrend in der Wählergunst auch 2023 nicht zu stoppen. Sie verlor im Verlaufe des Wahlkampfs beträchtliche Wähleranteile an die SVP. Ein Fünftel jener, die im Juli FDP wählen wollten, gaben im Herbst der SVP ihre Stimme. Zudem verliert die FDP seit 2015 kontinuierlich an Wählerpotenzial, d.h. der Anteil Wahlberechtigter, die sich nicht vorstellen können, FDP zu wählen, nimmt zu. Die FDP wird dabei von der neu gegründeten Mitte-Partei bedrängt, die im Vergleich zur ehemaligen CVP für breitere Schichten wählbar geworden ist. Den Grundstein für ihr gutes Abschneiden bei den Wahlen 2023 legten zwar die früheren CVP- und BDP-Wählenden, die zu 82 Prozent Die Mitte wählten. Der Mitte-Partei gelang es aber auch, Wechselwählende aus dem linken und rechten politischen Lager für sich zu gewinnen.
Hohe Kampagnenausgaben
Die Selects-Kandidierendenbefragung belegt, dass die Kandidierenden in der Schweiz grosse Summen für ihren persönlichen Wahlkampf ausgeben. Basierend auf der Selbstdeklaration der Kandidierenden beliefen sich 2023 die durchschnittlichen Ausgaben pro Kandidatur auf knapp 5500 Franken, wobei ein Viertel der Kandidierenden überhaupt keine finanziellen Mittel in ihren eigenen Wahlkampf steckten.
Kandidaten verfügten mit fast 6000 Franken über mehr Mittel als Kandidatinnen mit rund 4300 Franken, während die Wahlkampfausgaben der Gewählten mit durchschnittlich gut 51’000 Franken jene der Nicht-Gewählten (3900 Franken) um ein Vielfaches übertrafen. Das höchste Durchschnittsbudget ergibt sich für Kandidierende der SVP mit rund 12’000 Franken, gefolgt von der FDP mit knapp 11’000 Franken, während Kandidierende der Mitte und der SP über weniger als 5000 Franken verfügten, jene der ökologischen Parteien über weniger als 4000 Franken. Hochgerechnet auf alle Kandidierenden beliefen sich die Wahlkampfausgaben auf insgesamt 32,5 Millionen, wobei ein Fünftel aus Beiträgen der Parteien stammten und je rund 40 Prozent aus Spenden bzw. Eigenmitteln der Kandidierenden.
Elite-Basis Konflikt
Der Vergleich der politischen Positionen zwischen Kandidierenden und ihre Wählerschaften zeigt, dass die Kandidierenden von SP und Grünen markant weiter links stehen als ihre Wählenden, während sich die Kandidierenden von FDP und SVP rechts von ihren Anhängerschaften positionieren. Die Polarisierung ist damit unter den Kandidierenden stärker als in der Wählerschaft. Bei den Positionen zu verschiedenen Sachfragen zeigen sich vor allem bei sozioökonomischen Themen Diskrepanzen im rechten Lager. Eine Mehrheit der SVP- und FDP-Kandidierenden befürwortet eine Erhöhung des Rentenalters, ihre Wählerschaften lehnen diese hingegen deutlich ab. Umgekehrt spricht sich eine Mehrheit des FDP- und SVP-Elektorats im Gegensatz zu den Kandidierenden für einen Mindestlohn von 4000 Franken für eine Vollzeitstelle aus.